Wind und Welle im Hafen

21.03.2019

Es stürmt an der Pier, kräftige Böen, tückisch, weil sie jäh die Richtung wechseln. Das ist jedes Mal ein Angriff, und man muss gewappnet sein. „Passen Sie mit der Tür auf“, warnt Andreas Bullwinkel, er selbst tut es auch. Schön festhalten, ganz fest, damit beim Ausstieg aus dem Auto kein Malheur passiert. Die Tür ist schnell überdehnt, wenn sie aus der Hand gerissen wird und sich selbstständig macht. Bullwinkel kennt sich aus damit, er ist oft hier draußen, an der Kante zum tiefen Wasser. Wind und Welle in Wilhelmshaven, sein Elixier, seit er im Jade-Weser-Port für die Vermarktung der Flächen zuständig ist. „Ich bin der Landlord im Hafen“, sagt der 61-Jährige. Der Wind war für ihn in den vergangenen sieben Jahren, seit es den Tiefwasserhafen gibt, meist Gegenwind, doch jetzt dreht er sich langsam. Bullwinkel ist optimistisch, es geht voran mit dem Hafen, sagt er. Langsam zwar, aber stetig.

Dass das so ist, macht sich bereits viele Kilometer vor dem neuen Tor zur Welt bemerkbar. Arbeiten an der Bahnlinie, sie wird unterfüttert, fit gemacht für schwere Lasten. Erfüllen sich die Hoffnungen und der Jade-Weser-­Port kommt so richtig auf Touren, werden es nicht mehr ein, zwei oder drei Züge am Tag sein, die auf der Strecke Container transportieren. Dann ist es ein ganzes Band von Zügen, endlos. Und dafür muss ein anderer, stabilerer Untergrund her. Außerdem wird Strom organisiert, Elektrifizierung. Die Masten stehen schon, man kann sie von der Autobahn aus sehen, die teilweise parallel zu den Gleisen verläuft. Es ist die A 29, die sogenannte Jade­linie, ein oft schnurgerades Stück Asphalt, das von Wilhelmshaven über Oldenburg bis zum Ahlhorner Dreieck führt und sich dort mit der A 1 vermählt.

Eine Bahnlinie, die direkt in den Hafen führt und sich dort in 16 Gleise auffächert, damit die langen Züge aufgestellt und nach und nach be- und entladen werden können. Der direkte Anschluss an die Autobahn, sodass die Fahrer mit ihren Lastwagen nicht einmal eine Abfahrt nehmen müssen, um den Jade-Weser-Port zu erreichen. Und die Kaje natürlich, 1725 Meter lang, an der die Schiffe abgefertigt werden. Nichts hindert daran, sie direkt anzusteuern, das Wasser ist 18 Meter tief, unabhängig von der Tide. Bester Komfort für kapitale Kähne. Und so ist der Jade-Weser-Port im Ganzen ein Knotenpunkt, der auf Schiene, Straße und dem Wasser optimal erreicht werden kann.
Zu den Schiffen gehören die Megapötte dieser Welt, sie sind 400 Meter lang, 60 Meter breit und können mehr als 21 000 Standardcontainer (TEU) tragen. Einer dieser Riesen hat an diesem Tag in Wilhelmshaven festgemacht, die „OOCL United Kingdom“. „Das ist der letzte Hafen, bevor es rüber nach Asien geht“, sagt Bullwinkel. Der Frachter wird rappelvoll gemacht, bevor er seine Fahrt nach Singapur und Schanghai aufnimmt. „Das funktioniert wegen des Tiefgangs nur hier oder in Rotterdam“, erklärt der Hafenmanager. Voll beladen nach Hamburg oder von dort weg? Keine Chance, sagt Bullwinkel, nicht für dieses Schiff. Daran werde auch die Elbvertiefung nichts ändern. Er meint das nicht hämisch, stellt es nur fest.

Die Hamburger hätten sich am Jade-Weser-Port beteiligen können, es gab Verhandlungen, am Ende aber wollten sie nicht. So ist Deutschlands einziger Tiefwasserhafen ein gemeinsames Projekt von Bremen und Niedersachsen geworden. Die beiden Länder haben für den Bau 650 Millionen Euro bezahlt. Obendrauf kamen 350 Millionen Euro, die der Hafenbetreiber in Aufbauten und Ausrüstung investieren musste. Viel Geld für Eurogate, und wirklich gelohnt hat sich dieser Einsatz noch nicht. Das Unternehmen gehört zur einen Hälfte Eurokai (Hamburg), zur anderen der BLG (Bremen).
Im ersten Betriebsjahr waren es gerade einmal 85 000 Stahlkisten, die den Weg an die Jade fanden. Im Jahr darauf sank die Zahl sogar noch, was in der Branche und bei den Medien Kassandrarufe auslöste. Von einem Geisterhafen war die Rede, einem superteuren Missverständnis. Doch dann konnten von Maersk, MSC und der Ocean Alliance wichtige Liniendienste gewonnen werden, der Umschlag stieg merklich an. Im vergangenen Jahr verbuchten die Wilhelmshavener einen Anstieg von 18 Prozent und liegen jetzt bei 655 000 Containern. Das ist zwar immer noch meilenweit von der Zielmarke entfernt, und wahrscheinlich muss Eurogate weiterhin zubuttern, der Trend zeigt aber nach oben. Ausgelegt ist der Hafen für 2,7 Millionen TEU. Dass der Betreiber nach wie vor an den Standort glaubt, beweist der Plan, die Zahl der Mitarbeiter von 400 auf 600 zu erhöhen.

Bullwinkel, der Landlord im Hafen, hat 160 Hektar zur Verfügung, die er vermarkten kann. Ganz vorne bei den einzelnen Projekten ist Nordfrost. Das Unternehmen aus Schortens im Landkreis Friesland hat 32,5 Hektar gepachtet und unter anderem ein riesiges Tiefkühlhaus errichtet, um Fleisch, Fisch oder Speiseeis zu lagern. Vieles davon geht nach China, darunter Teile von Schweinen, die sich in Deutschland nicht gut verkaufen lassen: Ohren, Schwänze und Schnauzen.
Nordfrost hat noch Potenzial im Jade-Weser-Port, zehn Hektar seiner Fläche sind bislang nicht bebaut. Doch investiert wird gerade woanders, im Rhein-Lippe-Hafen Wesel. Eine Trotzreaktion, wie es scheint. Das Unternehmen ist unzufrieden in Wilhelmshaven, es wirft dem Hafenbetreiber vor, nicht genügend zu investieren. Und tatsächlich: Statt der acht Containerbrücken, die zur Abfertigung der Schiffe bereitstehen, sollten es nach der ursprünglichen Planung eigentlich 16 sein. Mehr Brücken, mehr Flexibilität.

Im April geht auf dem Areal hinter der Pier ein anderer großer Pächter an den Start. Volkswagen und Audi haben eine 40 000 Quadratmeter große Halle bauen lassen. 32 Rampen für Lastwagen, die Motorhauben, Kotflügel, Türen und Motoren anliefern, damit die Teile für die Autoproduktion nach China verschifft werden. Ein weiteres Grundstück hat sich der Bremer Entwickler und Investor Peper & Söhne gesichert. Geplant ist der Bau eines Logistikzentrums, in dem Kunden unterschiedlich große Flächen anmieten können. Es gibt nach Auskunft von Bullwinkel Interessenten aus Hamburg und Nordrhein-Westfalen, aber auch aus China. Vor ein paar Tagen war der neue chinesische Generalkonsul in Deutschland mit einer Wirtschaftsdelegation zu Gast an der Jade.
Der Jade-Weser-Port ist wie jeder andere große Hafen vom Weltmarkt abhängig, davon, wie sich die Warenströme entwickeln. Das ist schwer zu kalkulieren, und doch soll es versucht werden – mit einer Marktstudie, die auslotet, ob es einen Bedarf für die mögliche Erweiterung des Hafens gibt. Eine Machbarkeitsstudie gibt es bereits. Das Ergebnis: technisch realisierbar und auf mittlere Sicht wirtschaftlich sinnvoll. Die Kajenlänge würde verdoppelt. Der Platz dafür ist vorhanden.

Andreas Bullwinkel wird das als Hafenmanager nicht mehr erleben, so lange ist er nicht mehr im Dienst. Zwölf bis 15 Jahre, schätzt er, bis der Ausbau abgeschlossen wäre. Niedersachsen und Bremen wollen erst dann konkret planen, wenn im Tiefwasserhafen die selbst gesetzte Schallmauer durchbrochen ist. Dafür muss der Umschlag bei mindestens eine Million Container liegen.

Quelle: Weser Kurier
Autor: Jürgen Hinrichs